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Begrüßungsrede zur Ehrung der Landessieger des Rerum Antiquarum Certamen und
zur feierlichen Verleihung der Stipendien der Studienstiftung des deutschen Volkes
am 11. Juni 2016 im Refektorium des Klosters Loccum,

gehalten von Stefan Gieseke

Verehrte Gäste, ich begrüße Sie zu der feierlichen Ehrung der Landessieger des Rerum Antiquarum Certamen, ausgerichtet vom Niedersächsischen Altphilologenverband.

Liebe Schülerinnen und Schüler, Sie sind die Landessieger in unserem Wettbewerb!

Der Niedersächsische Altphilologenverband und mit ihm alle, die heute hierhergekommen sind – Ihre Eltern, Ihre Lehrerinnen und Lehrer, z. T. auch Ihre Schulleiter – wollen Ihre Leistung mit diesem Festakt öffentlich anerkennen und würdigen. Das Predigerseminar des Klosters Loccum, hat uns diesen stimmungsvollen Ort, das Refektorium, für unsere heutige Veranstaltung zur Verfügung gestellt. Dafür sind wir insbesondere der Konventual-Studiendirektorin Frau Ruck-Schröder sehr dankbar.

Der Niedersächsische Altphilologenverband kehrt damit wieder an einen für unseren Wettbewerb traditionsreichen Ort zurück, denn bis zum Jahr 2004 haben unser Abschlusskolloquium und die Ehrung der Landessieger ebenfalls hier in Loccum stattgefunden.

Musikalisch und passend zu dem Ambiente des Raumes wird der Vormittag untermalt von Jeffry Ji-Peng Li, den wir eben schon am Klavier gehört haben, und Jennifer Aßmus am Cello. Beide kommen vom Kaiser-Wilhelm-und Ratsgymnasium Hannover.

Liebe Landessieger,

als Vorsitzender des Niedersächsischen Altphilologenverbandes kann ich Ihnen versichern: das Rerum Antiquarum ist ein anspruchsvoller Wettbewerb. In drei Stufen haben Sie verschiedene Kompetenzen unter Beweis gestellt, von der Übersetzung und Interpretation eines lateinischen oder griechischen Textes über die Anfertigung einer schriftlichen Hausarbeit bis hin zu einem anspruchsvollen Kolloquium. Voraussetzung für die Einladung zu diesem Auswahlgespräch war die Bewertung der Hausarbeit mit der Note „sehr gut“. Diese zu erhalten setzt voraus, dass es Ihnen gelungen ist, die Anregungen aus der antiken Literatur in die Moderne mit ihren aktuellen Herausforderungen zu übertragen. Für diese Leistung gebührt Ihnen allen große Anerkennung. Zwei Kandidaten des Kolloquiums steht heute ihre Aufnahme in die Studienstiftung des Deutschen Volkes bevor.

Sie alle, die Sie hier heute anwesend sind, haben sich verhalten wie die Helden der Antike, sei es Herakles, seien es die Helden vor Troja. Sie haben sich einer gewaltigen Aufgabe gestellt und diese mit beeindruckendem Erfolg zu Ende geführt. Anders als bei den erwähnten Helden war es weniger eine körperliche oder gar kämpferische Leistung, die Sie vollbracht haben, sondern eine geistige. Alle für die Hausarbeiten gesetzten Themen verlangen neben gründlicher Textarbeit auch eine Stellungnahme oder Beurteilung von Problemstellungen, die uns auch in heutiger Zeit beschäftigen. Dass beispielsweise die Frage nach der besten Staatsform von aktueller Bedeutung ist und nicht nur mit einem Schlagwort wie „Demokratie“ beantwortet werden kann, sondern wir sie auf ihre ethische und gesellschaftliche Legitimität zurückführen müssen, erleben wir in Besorgnis erregender Weise, wenn wir den Präsidenten der demokratischen Republik Türkei handeln sehen oder den Präsidentschaftskandidaten einer Weltmacht, Donald Trump, reden hören.  

Diese beiden Beispiele zeigen: Die heutige Gesellschaft braucht verantwortungsbereite, handlungsfähige, aber auch gebildete und moralisch integere Menschen in Schlüsselpositionen, damit ein friedliches und menschenwürdiges Zusammenleben funktionieren kann. Übrigens bezieht sich das nicht allein auf die Politik, sondern auch auf die Wirtschaft. Bloße Gewinnoptimierung und Nützlichkeitserwägungen als hauptsächliche Beweggründe für Handlungsentscheidungen stehen dem entgegen, was das Gymnasium und seine ureigene Aufgaben ausmacht, nämlich seine Schülerinnen und Schüler zu verantwortungsbereiten Persönlichkeiten, und dabei zu Weltoffenheit zu erziehen, die auf den freiheitlich-demokratischen Werten Europas fußt. Dabei ist es die besondere Leistung des Gymnasiums, dass es seine Schülerinnen und Schüler an wissenschaftspropädeutisches Arbeiten heranführt.

Es ist unbestritten, dass die klassischen Sprachen nicht zuletzt aufgrund ihrer fachspezifischen Arbeitsweise eine gute Basis dafür bieten, denn sie erziehen zu Genauigkeit und Sorgfalt, zu Reflexion und sachbezogener Begründung und sie bieten durch ihre Themenvielfalt eine solide Allgemeinbildung und Werteerziehung.

Das traditionelle schulische Sprachangebot erfährt derzeit allerdings eine große Veränderung. Der Lateinunterricht wird an vielen Schulstandorten durch Spanisch als zweite Fremdsprache verdrängt. Der gesellschaftliche Trend wird bestimmt von eben diesen vordergründigen Nützlichkeitserwägungen und dem Wunsch, dass alles einfach sein muss und keine größeren Herausforderungen stellen darf. Häufig steht über allem die Hoffnung, dass am Ende ein Abitur mit Bestnoten herausspringt.

Im Vergleich mit gesprochenen Sprachen gilt Latein als schwierig. Unkenntnis liegt diesem Vorurteil zugrunde. Abgesehen davon, dass für die gute Beherrschung einer jeden Sprache ein breiter Vokabelschatz erlernt und grammatisches Regelwissen erworben werden muss, ist der Vergleich des Schwierigkeitsgrades kaum führbar. Spanisch hat ein komplexes Tempus- und Modussystem, verlangt anders als das Englische klar erkennbare Personal- und Kasusendungen und ist in diesen Punkten dem Lateinischen recht ähnlich. Als angewandte, d.h. gesprochene Sprache ist Spanisch daher auch sehr fehlerlastig. Latein hingegen wird als Reflexionssprache in der Schule nicht aktiv gesprochen, die Übersetzungsarbeit erhebt den Anspruch, den lateinischen Text möglichst ohne irgendeinen Sinnverlust in korrektes Deutsch zu übersetzen. Die damit verbundene Sprachschulung ist eine Basiskompetenz sowohl für den Umgang mit der deutschen Sprache als auch Hilfe für das Verständnis anderer Sprachen.

Ein Blick auf die Abiturnoten der letzten Jahre im Fach Latein oder auch Griechisch zeigt, dass sie im niedersächsischen Landesschnitt durchweg zweistellig sind, die Anforderungen in Latein also leistbar und vor allem auch gut leistbar sind.

Dass Latein und auch Griechisch im Unterricht nicht nur Spracharbeit betreiben, das ist Ihnen, verehrte Landessieger, allen sehr wohl bekannt. Es sind vor allem die Themen, die in den klassischen Sprachen be- und verarbeitet werden, die anspornen, Latein oder Griechisch intensiver erlernen und Texte in Originalsprache durchdringen zu wollen. Moderner Lateinunterricht verfolgt das Prinzip der inhaltlichen Relevanz bereits von Lektion 1 in den Lehrbüchern der Spracherwerbsarbeit und führt seine Schülerinnen und Schüler dahin, dass sie in der Lage sind, sich beispielsweise – wie eine Themenstellung im diesjährigen Wettbewerb gefordert hat – einzudenken in die antike Vorstellung von Tempelflucht und Asyl und daraus Erkenntnisse abzuleiten, wie aktuelle gesellschaftliche Herausforderungen zu beurteilen sind oder angegangen werden können.

Mit solchen Arbeiten, wie Sie sie im Rahmen des Rerum Antiquarum Certamen angefertigt haben, stellen Sie sichtbar unter Beweis, dass Latein- und Griechischunterricht in hohem Maße nicht nur persönlichkeitsbildendes Potential besitzen, sondern auch geeignet sind, in unsere heutige Gesellschaft positiv gestaltend hineinzuwirken.

So wie Sie in Ihren Hausarbeiten in der Lage sind, antike Texte fachmethodisch sorgfältig zu bearbeiten, den Aussageinhalt differenziert zu betrachten und zu diskutieren, Ihre Ergebnisse auf die Gegenwart zu übertragen und so Ihre eigene Werthaltung zu entwickeln, so sollte es auch vielen anderen Schüler in Deutschland möglich sein, diese Kompetenz zu erlernen. Fächer, die dazu anleiten, dass junge Menschen zu solchen Leistungen, wie Sie sie erbracht haben, fähig sind, müssen auch von der Politik geschützt werden und wieder an Bedeutung gewinnen. Denn nur durch gute Bildung können unsere Schüler zu selbstbewussten Erwachsenen heranwachsen, die zu ihren Werten stehen und für diese eintreten. In Baden-Württemberg ist das Kultusministerium einen großen Schritt in diese Richtung gegangen. Es ist Herausgeber einer Informations- und Werbebroschüre für den Griechisch-Unterricht und stellt sich damit in engem Schulterschluss an die Seite eines der Fächer, die aus der Mode gekommen sind. Dies ist eine Form der Anerkennung für unsere Fächer, die auch für Niedersachsen ein gutes Vorbild sein könnte.

Aber nicht nur unsere Fächer benötigen Bestandsschutz, sondern auch der Lernort, an dem sie typischerweise unterrichtet werden: das Gymnasium, und zwar ein Gymnasium, dem nicht die Möglichkeit entzogen wird, anspruchsvoll zu arbeiten.

Qualitätssicherung am Gymnasium heißt aber auch, dass eine gewisse Leistungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit bei den Schülerinnen und Schülern, die diese Schulform besuchen, vorausgesetzt werden muss. Schon jetzt stellt Fördern und Fordern die Lehrer vor Herausforderungen, denen sie kaum noch gewachsen sind. Heterogene Lerngruppen, d.h. Schüler mit weit auseinander gehenden Fähigkeiten und Kompetenzstand sind nicht mehr adressatengerecht zu unterrichten. Einzelne Schüler kommen zu kurz, und zu oft sind es die guten Schüler, unsere Leistungsspitze, für die keine anspruchsgerechte Förderung in den Unterricht integriert werden kann. Binnendifferenzierung ist zwar ein Modewort, aber ihre Umsetzbarkeit unter den aktuellen schulischen Bedingungen, z.B. bei 31 Schülerinnen und Schüler in der Klasse 5, ist allzu oft unrealistisch.

Dass das Gymnasium in Niedersachsen die beliebteste Schulform ist, kann uns nur dann freuen, wenn das Abiturzeugnis auch ein verlässlicher Garant für qualitativ hochwertige Bildung bleibt. Die rasante Zunahme an sehr guten Abiturabschlussnoten in Deutschland lassen nicht nur Bildungsforscher skeptisch werden.

Insofern bieten Wettbewerbe wie dieser eine besondere Möglichkeit, sich über das schulische Angebot hinaus auszuzeichnen und sich etwas Herausragendes zu eigen zu machen - vielleicht nicht nur für die Bewerbungsmappe, aber auch.

Nun ist es aber nötig, im Programm voranzugehen, damit uns noch hinreichend Zeit bleibt zur Vorstellung der Kolloquiumsteilnehmer und ihrer Hausarbeiten, auf die wir gespannt warten.